Belcantesk, innig und romantisch leidenschaftlich – „Die schöne Müllerin“ von Pavol Breslik und Amir Katz
Wenn sich ein romantisch veranlagter Tenor, der sich im Belcantofach und mit Mozart in die erste Reihe der heutigen Opernstars gesungen hat, der Welt Franz Schuberts nähert und dessen „Schöne Müllerin“ interpretiert, dann werde ich neugierig. Noch mehr, wenn sich Pavol Breslik im Booklet der CD als Bewunderer von Fritz Wunderlich zu erkennen gibt und als sein Vorbild postuliert. Die Latte ist in jeder Hinsicht hoch gelegt: Fritz Wunderlich ist (nicht nur für mich, sogar für Pavarotti) der Inbegriff des lyrischen Tenors, dessen Technik, Stimmklang sowie großartige Musizierkunst unerreicht geblieben sind. Allerdings hat die Aufnahme der „Müllerin“ von Fritz Wunderlich aus dem Jahr 1966 zusammen mit seinem Mentor Hubert Giesen seinerzeit nicht das Echo ausgelöst, welches erwartet wurde. Das lag zum einen an der eher behäbigen und wenig inspirierenden Begleitung durch Hubert Giesen, zum anderen an der Interpretation Fritz Wunderlichs, die als solche zB als „naiv“ bezeichnet worden war. Meine Meinung ist, Wunderlich zelebriert einen zurückhaltenden Stil, lässt die Musik selber sprechen und verkopft seine Interpretation nicht (beinahe so wie Otto Klemperer das Interpretieren in seiner Kunst gar nicht anstrebt, da ja bereits „alles in der Musik steht“ – wenn man sie nur entsprechend aufführt). Nun gut. Wunderlich singt seine „Müllerin“ mit einer makellosen Technik, einer klaren, plastischen Artikulation, prachtvoller Stimme und einer beeindruckenden Atemführung.
Was machen nun aber Pavol Breslik und Amir Katz mit Schuberts Komposition?
Sie musizieren auf einem hohen Niveau und wählen eher einen direkt sprechenden, denn erklärenden Weg.
Die Interpretation der Beiden liegt tendenziell auf der langsameren Seite (ca. 68 Minuten), bei den letzten Liedern (Nr. 18 -20) brauchen Breslik/Katz im Vergleich zu Wunderlich/Giesen bis zu einer Minute mehr pro Lied. Das Besondere dabei ist: Sie füllen diese Zeit mit ihrem beseelten und emotional gefärbten Musizieren aus. Zum Ende des Zyklus entsteht hieraus eine geradezu transzendentale Atmosphäre, welche den Tod als romantisch schmerzhaft-schönen Zustand heraufbeschwört. Dieses mal weiche, mal akzentuierte, stets atmende Musizieren durchzieht den gesamten Zyklus und beeindruckt mich sehr. Pavol Breslik kann seinen männlich-hellen Tenor sicher durch die Tessitura führen. Die hohen Töne (in „Ungeduld“) schmettert er in bester Tenortradition und kommt seinem Vorbild dabei sehr nahe. Welche Wohltat, endlich wieder einen Sänger zu hören, der seine Stimme nicht künstlich vergrößert oder abdunkelt, um dramatisch zu wirken. Das hat Pavol Breslik gar nicht nötig! Er erreicht Dramatik durch Gestaltung – ohne Manipulation. Das ist Sangeskunst auf hohem Niveau, bravo! Durch die stärkere Aussprache von Konsonanten und die gesteigerte Atemführung erzielt er zB in „Am Feierabend“ eine mitreißende emotionale Farbe („jeder Knappe tut mir’s nach“). Besonders beeindruckt die klare Artikulation in den schnell genommenen Passagen von „Der Jäger“ sowie „Eifersucht und Stolz“ (schneller als Wunderlich/Giesen): Leidenschaftlicher Ausdruck im Aufbäumen gegen die Gefühle, Klavier und Stimme in wunderbarer Eintracht der scharfen Rhythmen. Leidenschaftlich gestaltet auch „Mein“, hier kommt Pavol Breslik im Ausdruck gefährlich nah an die Oper, wird vielleicht manch ein Purist sagen, doch was heißt das schon? Von Hans Hotter und Brigitte Fassbaender haben wir gelernt, dass im Lied ein Forte-Ausbruch eben ein Forte ist und keiner Zurückhaltung bedarf. Die Balance muss halt stimmen. Im Ganzen singt Pavol Breslik als emotionaler Müller, dessen Gefühle sein Denken und Handeln bestimmen. Er kann dies singend erlebbar machen. Für mich macht das sehr viel Sinn bei diesem Zyklus, das ist direkt, im Jetzt und weniger retrospektiv. Als Zuhörer erlebe ich das sozusagen in der Gegenwart.
Die Strophenlieder erhalten ihre Nuancen durch Änderungen im Tempo sowie in der Lautstärke. Breslik/Katz variieren dabei immer atmend-musikalisch, so dass nichts intellektuell überfrachtet wirken kann. Dies empfinde ich als eine sehr hohe musikalische Tugend, die das Hören des Zyklus spannend und kurzweilig macht. Durch sein slawisches Timbre werden melancholische Farben besonders bei den Vokalen /u/ und /o/ hörbar. Die langsamen, traurig verschatteten Lieder erhalten so einen besonderen Klang. Auch das spricht für den Künstler Pavol Breslik, der eine Klangidee hat und diese hörbar umsetzen kann. Wenn auch das Geschenk des Timbres viel zu diesem Klangerlebnis beiträgt, so nimmt Pavol Breslik mit seiner Kunst des Legato und der Mezzavoce sehr für sich ein. Besonders beeindruckend gelungen sind die drei letzten Lieder, in denen der Schmerz des lyrischen Ich direkt aus der Stimme strömt.
Technisch ist Pavol Breslik ein hoch versierter Sänger. Seine Stimme fließt (die meiste Zeit) auf dem Atem, kann sich vom feinen Piano zu strahlendem Forte erheben und hat dabei einen sauber fokussierten Sitz in der Maske. Der Kopfklang prägt das Timbre der Stimme, ermöglicht die Mezzavoce und sichert eine saubere Intonation allen Lagen. Er kann mit dem Atem spielen und seiner Stimme melancholische Farben verleihen. Faszinierend finde ich insgesamt die Artikulation des Textes, Pavol Breslik hat einen hohen Grad an Verständnis für die deutsche Sprache erreicht.
Gemessen an seinem Vorbild Fritz Wunderlich gibt es technisch noch ein paar Dinge, die weiter perfektioniert werden können. Zum Beispiel fließt die Stimme nicht vollends frei auf dem Atem in der Mezzavoce, besonders in der heiklen Übergangslage um die Töne E, F, Fis, in welcher sich viele Phrasen bewegen. Hier hält Pavol Breslik seine Stimme gelegentlich einfach etwas zu viel fest, manchmal liegt ein wenig zu viel Druck auf der Tongebung, um dem Ausdruck Nachdruck zu verleihen. Zwar steckt das kleine Wort „Druck“ in „Ausdruck“, doch wie ausdrucksvoller ist ein fließender Klangstrom, wenn die Stimme losgelassen wird und frei schweben kann. Gerade im Piano und Mezzavoce ist dies der höchste Schwierigkeitsgrad, ein vergleichendes Hören der beiden Tenöre in „Des Baches Wiegenlied“ offenbart den kleinen, aber feinen Unterschied. Wohlgemerkt, ich spreche hier von Feinheiten der Sangeskunst, die manche gar nicht erst erreichen. Pavol Breslik hingegen hätte das Zeug dazu, diese Perfektion zu erreichen: Ein wenig mehr den Atem fließen lassen, also ausatmen und loslassen, und die Stimme würde noch freier schweben. Nur Mut! Und wenn manche Phrase, die von ihm auf einem Atem gesungen wird, ein Nachatmen bräuchte, wäre das nichts schlechtes: Denn es ist der Atemfluss, der das Singen überhaupt beredt macht, die Emotionen direkt aus dem Bauch (besser dem Zwerchfell) in die Stimme legt und den Zuhörer erreicht. Manche kleine Verfärbungen in der Aussprache könnten ebenfalls sehr leicht behoben werden: So wird in der deutschen Hochlautung das Wort „ewig“ am Ende mit einem /ch/ ausgesprochen und nicht mit dem /g/. In „Ungeduld“ kommt mit der aufblühenden Stimme beim Wort „Klang“ statt des sanften /ng/-Klanges fast ein /k/ heraus. Wenn Phrasenenden mit einer leicht stärker flutenden Tongebung ausklingen würden, wäre Herr Breslik seinem Vorbild noch näher gekommen. Wie gesagt, das ist lernbar, denn Pavol Breslik verfügt über ein enormes, großartiges Talent, welches ihn zu noch höherer Kunstfertigkeit bringen kann. Alles in allem: Verehrter Pavol Breslik, Sie sind Fritz Wunderlich hier schon sehr nahe gekommen. Bravo!
Und Amir Katz als Begleiter? – Er ist KEIN Begleiter. Er ist ebenbürtiger Künstler und famoser Gestalter am Klavier. Es ist ein Genuss, ihn die Vor-, Zwischen- und Nachspiele formen zu hören. Das ist pure Inspiration für die sängerische Gestaltung, und mir scheint beim Hören ganz besonders diese Einheit der beiden Künstler im Musizieren die Stärke dieser Aufnahme zu sein.
Ob es das weiche Anschlagen der Töne ist, das rhythmisch pointierte und akzentuierte Spielen, das feine Rubato, die intensive Basslinie oder das hörbare Bachgeplätscher, das emotionale Aufbrausen, das innerliche Weinen – alles gelingt auf eine wunderbar natürliche Art und Weise. Faszinierend und beeindruckend.
Summa summarum ist dem Duo Breslik/Katz eine romantisch schön gesungene Interpretation der „Schönen Müllerin“ gelungen. Emotionen und Passion gehören ganz selbstverständlich in diese Reise des Müllers. Das Duo ergänzt sich fabelhaft, gestaltet wundervolle Rubati und musiziert atmend und organisch. Die ehrlich klingenden Emotionen treffen direkt auf die Ohren und bereiten ein selten feines musikalisches Vergnügen. Ich hoffe auf mehr Schubert dieses Duos.
Lieber Pavol Breslik, lieber Amir Katz: Chapeau! Ein herzliches Dankeschön und – bitte musizieren Sie auf diese Weise weiter, für die Musik und uns Hörenden.