Julia Varady – Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag!
Eine großartige Künstlerin bei der Kreation ihrer Portraits zu erleben, live und ohne doppelten Boden, das bietet diese CD!
Julia Varady wurde von den großen Plattenfirmen nicht eingesetzt, um in den Neuaufnahmen der Verdiopern in den 80er und Anfang der 90er Jahre ihre einmalig ausgefeilten Rollenschöpfungen festhalten zu können. Eine Schande! Gottlob gibt es diverse Mitschnitte von Premieren oder Aufführungen, die nun – und hoffentlich noch mehr – die Erinnerung an die bedeutendste Verdi-Sängerin der 70er, 80er und 90er Jahre aufrecht erhalten. Zu hören sind Ausschnitte als Senta, Aida, Troubadour und Forza-Leonoren sowie Desdemona. Erst 1993 hat Julia Varady in Wien debütiert, da hatte sie schon 30 Karrierejahre vorzuweisen. Das Spektakuläre an diesen Mitschnitten ist, dass man das ihrem Singen beinahe gar nicht anhört:
Die Stimme klingt nach wie vor schlank, ist perfekt fokussiert, kann zwischen mädchenhaft, fraulich, überschwänglich bis zu heroisch sämtliche Emotionen und Stimmungen glaubhaft machen und dadurch Figuren aus dem Leben und mit großer Seele erschaffen! Das Schwärmen der Senta, die Hingabe an den Fremden, die Trauer und Sehnsucht der Leonoren, die emotionalen Wechselbäder der jungen Aida, kulminierend in einer wundervollen Phrase zu einem schlanken hohen C, die Liebe, Entrüstung und Ergebenheit der Desdemona, keine andere Sängerin seit der Callas hat das so erfahrbar, so ehrlich, so technisch souverän auf die Bühne gebracht! Die Kollegen Grundheber, Giacomini und Lipovsek sind nicht immer ganz auf der Höhe, aber sie lassen sich mitreißen oder animieren zu spannungsvollem und wahrem Operntheater! Wer also Varady in diesen Partien nicht kennen sollte, die Sängerin jedoch verehrt, wird diese Sammlung besitzen müssen.
Unbedingt besitzen sollte jeder die „Frau ohne Schatten“ unter Solti aus Wien mit Behrens, Domingo und van Dam. Neben Leonie Rysanek ist Julia Varady die technisch beste Sängerin der Kaiserin, noch dazu mit einem phänomenal emotionalen Porträt dieser schwierigen Partie. Auf dieser Aufnahme klingt auch die Stimme der Sopranistin wundervoll und so wie im Theaterraum, nicht bei allen ihren Aufnahmen konnten die Tontechniker die obertonreiche Stimme derart „richtig“ einfangen.
Die Firma Orfeo aus München hat wenigstens seit Beginn der 90er Jahre auf einigen Recitals die Versäumnisse der Plattenfirmen ein wenig ausgeglichen. Absolut hörenswert und vollends gelungen das Puccini-Album, in welchem sie nur mit den Mitteln der Sangeskunst Figuren lebendig werden lässt, übrigens gestaltet sie herrlich musikalisch und ohne veristische oder kitschige Übertreibungen. Die beiden Verdi-Alben sind ebenfalls konkurrenzlos. Julia Varady zeigt hier, dass sie als assoluta alles kann: Koloratur, Drama, Lyrik. Auf dem ersten Album klingt sie nicht ganz so frisch wie sonst, doch kann das auch an den Mikros oder einer Indisposition liegen. Zudem ist das exzellente Bayerische Staatsorchester unter ihrem Gatten Fischer-Dieskau zu hören, wie schön, dass dieses Zusammenklingen möglich war nach über 20 Jahren gemeinsamer Arbeit an der Staatsoper München.
Die junge Varady in der „Fledermaus“ unter Kleiber ist ebenfalls ein Muss! Herrlichster Überschwang und wundervolle Phrasierung mit dem exzellenten Hermann Prey und Lucia Popp lassen die Seele jubeln. Vitellia und Elettra unter Böhm sind klassische Aufnahmen der 70er mit sehr guten Ensembles. Noch besser wäre die Vitellia allerdings in einem Mitschnitt mit Brigitte Fassbaender als Sesto…kann ja noch kommen. Schön und italienisch ausgesungen und herrlich gestaltet die Gräfin unter Davis!
Bravourös die Rachel in der „La Juive“-Aufnahme aus den 80ern: Lodernde Leidenschaft und beseelte Klagetöne der Verfolgten finden in ihr eine phantastische Darstellung. Auf keinen Fall missen möchte ich die „Wesendonk-Lieder“: Welches musizieren, welche Sanftheit, welches Legato und die Kunst der mezzavoce – und das mit Mitte 50! Bewundernswert! Auf diesem singulärem Niveau kann man sie im „Verdi-Requiem“ hören: Klanglich etwas verschwommen manchmal, doch mit einem breiten Atem und weich gesungenen Phrasierungen, die Seele der Musik zelebrierend. So viel piano-Kultur war selten in dieser schwierigen Partie.
Was fehlt?
An die Plattenfirmen: Wo sind die klugen und mit gutem Gehör gesegneten Produzenten? Wo bleiben die wichtigen und in sehr guter Qualität produzierten Mitschnitte ihrer Senta aus München, ihrer Forza-Leonore, ihrer Aida, ihrer Butterfly, ihrer Abigaille? Machen Sie gut, was Ihre Kollegen seinerzeit versäumt haben, das ist eh unverzeihlich. Das Ethos der Produzenten, die künstlerisch wertvollste Kreationen für die Ewigkeit bannen wollten, scheint abhanden gekommen. Also auf, bei diesen rundum mitreißenden und überzeugenden Rollenschöpfungen wird mit einem entsprechenden Marketing der wirtschaftliche Erlös sicher kommen.
Und wer Julia Varady auf der Bühne erleben konnte, wie sie atemlos auftreten und mit ungebändigter Energie sich verausgaben konnte, ohne je die Grenze zur Sentimentalität zu überschreiten, wie sie im pianissimo bis in die obersten Ränge tragfähig ihr Leben aushauchte, wie sie dramatisch auftrumpfend Klage erhob, der weiß: Diese Verbindung von Spiel und Gesang macht sie zu einer der wertvollsten Künstlerin unserer Zeit.
Größtmögliche Verehrung für und Hochachtung vor der Karriere und den Leistungen von Julia Varady! Die Sängerin, die mit einer Phrase die Seele berühren kann und sich in ihren Figuren verloren hat, sie lebe hoch!
Chapeau, Julia Varady!